The world was silent when we died

Adichie Half of a yellow sunReview: Chimamanda Ngozi Adichie – Half of a Yellow Sun

Die Neueste Geschichte Afrikas ist so blutig und brutal, dass jeder Vergleich unangebracht wäre. Ehemalige britische Kolonialstaaten wie Australien oder Kanada konnten mit der Unabhängigkeit zu sich selbst finden, doch auf dem afrikanischen Kontinent verschwand mit dem Ende des British Empire nur die aufgezwungene britische Regierung, nicht etwa die Diktatur.  Es folgten skrupellose Militärregimes, verbunden mit grausamen Bürgerkriegen. Insbesondere die 1960er Jahre, die Zeit, in der die meisten afrikanischen Staaten unabhängig wurden, sind kaum greifbar aus europäischer Sicht. Im Afrika der 60er Jahre gibt es kein Nationalgefühl, keine Bürgerrechtsbewegungen und keinen Feminismus. Es gibt künstliche Grenzen für rivalisierende Stämme, alte Denkweisen im Einklang mit neuen Waffen und neureichen Wichtigtuern. Einheimische schießen auf Einheimische, der Rest der Welt verschließt die Augen vor dem afrikanischen Elend. „The world was silent when we died“ (Die Welt hat geschwiegen, als wir starben) ist kein daher gesagter Satz, sondern pure Wahrheit.

Um aus heutiger Sicht Zugang zu den damaligen Vorkommnissen zu bekommen, um zu verstehen, wieso auch heute noch fast jedes afrikanische Land zur „dritten Welt“ zählt, liest man am besten Literatur von Menschen, die sich auch wirklich damit auskennen. Afrikanern also. Egal, für welches Land man sich interessiert, man wird immer einen besonders bekannten „Vertreter“ und Einheimischen finden. Bei Nigeria ist das Chimamanda Ngozi Adichie. Im Jahr 2003 erreichte Adichie mit ihrem Roman „Purple Hibiscus“ weltweites Ansehen, mit dem darauffolgenden „Half of a yellow sun“ gelang ihr dann endgültig der Durchbruch. Zurecht! „Half of a yellow sun“ ist noch ehrlicher, packender und bedrückender als der Vorgänger. Die „Hälfte der Sonne“ bezieht sich auf die Flagge von Biafra, eine Nation im Osten Nigerias, die 1967 aus Angst vor weiteren Massentötungen ausgerufen wird und nur drei Jahre später in einem der schlimmsten afrikanischen Bürgerkriege wieder untergeht. Adichie hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese historische Begebenheit erzählerisch zu verpacken – so, wie es sich für einen durchdachten Roman gehört.

In „Half of a yellow sun“ gibt es den Dorfbewohner Ugwu, der bei einem linksradikalen Dozenten zum „Jungen für alles“ wird und gleichzeitig die Vorzüge höherer Bildung genießen kann. Sein Bild von Afrika wird gegen ein völlig Neues eingetauscht – auch wenn er sich nicht einmal in Notsituationen abgewöhnen kann von seinem „Sah“ („Sir“) zu sprechen. Wir bekommen außerdem Einblick in die Gedankenwelt von Olanna, der Geliebten des Dozenten. Sie versucht ständig, sich mit linker Politik von den Fesseln ihrer korrupten Familie zu lösen, kann gleichzeitig aber nicht genug Vorurteile ablegen. Ihre zweieiige Zwillingsschwester ist da sowieso ganz anders veranlagt. Sie führt erfolgreich das Familienunternehmen, hat ständig einen sarkastischen Spruch auf den Lippen und liebt einen Engländer, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Geschichte Nigerias in ein Buch zu verpacken. Doch wie ändert sich die Konstellation von Freunden und Familie, wenn auf einmal der Krieg beginnt? Wenn die wohlhabenden Afrikaner genauso wenig haben wie ihre „dreckigen“ Nachbarn von nebenan? Wenn geliebte Familienmitglieder versterben und man sich nicht richtig trösten kann?

„Half of a yellow sun“ ist nicht einfach zu lesen. Die vielen Hauptpersonen führen zu ebenso vielen Perspektiven, es gibt Zeitsprünge, subjektive Auslassungen und Einschübe afrikanischer Begriffe. Ganz zu schweigen vom historischen bzw. theoretischem Hintergrund – die Geschichte Nigerias und Biafras, das Existieren verschiedener Stämme, das Zusammenleben von „schwarz und weiß“, lauter Andeutungen von postkolonial-wissenschaftlichen Konzepten … „Half of a yellow sun“ ist keine locker-leichte Sommerlektüre. Der Roman macht auch nur bedingt Spaß – dafür ist die Thematik einfach zu deprimierend. Der Erzähler ist immer einen Schritt voraus, während der Leser versucht, die verschiedenen Informationshäppchen zu einem Ganzen zusammenzufügen. Man muss sich auf diese Art von „storytelling“ erst einmal eingelassen haben. Zwischendurch etwas nachschlagen, die Seiten nicht verschlingen, sondern verstehen. Liest man das Buch auf so eine aufwändige Art und Weise, findet man Adichies Geschichten dann auch einfach nur unglaublich interessant. Und erschreckend. Und spannend. „Half of a yellow sun“ regt zum Nachdenken an, lässt uns Menschen hassen und zeitgleich die Liebe lieben. Denn um die ganz großen Gefühle geht es natürlich auch. Immer.

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