Wenn wir uns anstrengen, können wir alle Hochdeutsch. In Begleitung unserer Freund:innen und Verwandten reden wir aber gern mal, wie es uns passt. Zieht man dann in eine andere Stadt, merkt man schnell, dass die Leute dort ganz andere Worte und Begriffe verwenden als man selbst. Das Projekt „Atlas zur deutschen Alltagssprache“ beschäftigt sich mit genau diesen Sprachunterschieden.
Initiiert von den Universitäten Salzburg und Liège, ist der Atlas zur deutschen Alltagssprache eine Onlinesammlung von geografischen Karten. Auf jeder einzelnen wird angezeigt, wo in den deutschsprachigen Ländern welches Wort oder welche Form verwendet werden. Traditionelle Dialekte werden mittlerweile zwar nur noch vom älteren Teil der Bevölkerung gesprochen, gewisse regionale Unterschiede ziehen sich aber noch immer durch alle Altersgruppen. Das betrifft lautliche Merkmale, insbesondere aber den Wortschatz. Da die Alltagssprache am deutlichsten variiert, beschäftigen sich die Forschungsgruppen mit den regionalen Varianten des Alltagswortschatzes sowie der Aussprache, grammatischen Formen und Formen der Anrede in der Umgangssprache.
Die Daten für das Projekt kommen aus Online-Umfragen, an denen alle deutschen Muttersprachler:innen eingeladen sind, teilzunehmen. Jedes Jahr gibt es eine neue Befragungsrunde, gerade hat die zehnte angefangen. Die User werden dabei nach dem „ortsüblichen Sprachgebrauch“ befragt, nicht unbedingt nach ihrer individuellen Nutzung. Wenn man wie ich aus dem Ruhrgebiet kommt, aber fürs Studium ins Rheinland gezogen ist, wird man wahrscheinlich intuitiv für seinen Heimatsort antworten und nicht für das neue Domizil.
Der Atlas zur deutschen Alltagssprache ist interessant für Professionelle und Laien: Für Linguist:innen ist es eine Möglichkeit, die aktuelle Vielfalt des Deutschen zu erfassen und darzustellen. Im Vergleich mit älteren Datenerfassungen zur Sprachvarianz kann man außerdem über Jahre hinweg Entwicklungen in der Sprache nachvollziehen. Für uns selbst ist es einfach mal interessant zu sehen, was für Unterschiede es im Deutschen eigentlich gibt. Manch einer würde vielleicht nicht einmal verstehen, dass „10 vor halb 8“ dasselbe meint wie „zwanzig nach 7“. Nimmt man selbst an der Umfrage teil, wird einem auch erst richtig bewusst, wie man selbst eigentlich spricht. An manchen Orten wird das Brötchen als „Semmel“ bezeichnet oder Vornamen werden konsequent mit einem Artikel verwendet („Wo ist die Lisa?“). Zieht man viel um, wird man irgendwann eine Mischung aus allen Unterschieden sprechen.
Wer sich das Ganze mal ansehen und vielleicht sogar mitmachen will: Unter atlas-alltagssprache.de findet ihr die Ergebnisse der letzten Umfragen und die aktuelle Befragungsrunde. Ob es jetzt daran liegt, dass ich so halb Linguistik studiere oder dass ich gern beobachte, wie wir uns untereinander unterhalten – ich mag das Projekt!
(Bild: AdA: Stephan Elspaß & Robert Möller)