Conspiracies: for a simple world

Das neue Jahr begann turbulent und eine (Gegen-) Demo jagt die nächste. Morgen wird Gestern protestiert heute auch – gegen Menschen, die einfach nichts verstehen wollen und sich eine Absurdität nach der anderen ausdenken. Was besonders daran ist: nicht Ines tippte wütend in die Tasten, sondern Stageload-Kollege Benjamin. Er ist mein allererster Gastblogger und vertritt natürlich etwas, was mir selbst ebenso am Herzen liegt. Aber lest selbst…

Zurück in die Zukunft?
Von Benjamin Fischer

„Paris ist heute die Hauptstadt der Welt!“ Selten hat Francois Hollande in seiner Präsidentschaft bislang die richtigen Worte gefunden. An diesem historischen Januar-Sonntag jedoch ist es ihm geglückt. Und einen besseren Zeitpunkt hätte es nicht geben können: Monumentale 1,5 Millionen Menschen aller Couleur stellen sich vereint dem Terror entgegen – für Freiheit in Vielfalt. Für das Wichtigste, was wir haben.

Doch die Spaltung ist nicht weit. Verschwörungs-Phantasten schlafen bekanntlich nie und ausgerechnet an diesem Tag des trotzigen Triumphs sehen sie mehr Sonne denn je. So grüßen sie von der Titelseite der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“:

„Die Juden und Amerikaner machen das, um den Islam in den Dreck zu ziehen. Welcher Terrorist fährt mit seinem eigenen Auto zum Anschlag und lässt auch noch seinen Ausweis im Auto?“

So lassen sich wahllos Befragte im Blatt zitieren. Nun ist es nicht schwer diese angeblichen Verdachtsmomente ins Reich der Fabeln zu verweisen. Ein Terrorist ist kein Steuerflüchtling. Er will erkannt werden, die Abscheulichkeit soll seinen Namen tragen – für die ganze Welt sichtbar und seinen verblendeten Freunden zum Vorbild. Nichts hätte etwa einen Anders Breivik schlimmer getroffen, als einen anderen angeklagt für seine bestialische Tat zu sehen.

Bis hierhin zu denken ist nicht allzu schwer. Nur liegt der Reiz an Verschwörungstheorien eben gerade darin, dies nicht zu tun. Sie locken mit einer verführerischen Scheinwahrheit, die ihre Legitimität aus dem simplen Faktum bezieht, dass die öffentliche Betrachtung eben per definitionem nicht wahr sein kann. Dafür braucht es keine lästigen Fakten, bloß einen Nährboden – und dieser gedeiht aktuell prächtig! Allem voran der Antiamerikanismus ist hierzulande angesagt wie lange nicht:

Die USA steuern die deutsche Presse, die Politik ohnehin und haben nebenher noch den IS als Alibifeind installiert (gemeinsam mit den Juden, natürlich) – es lebe der Imperialismus! Längst ist das „Land of the Free“ aber auch außerhalb konspirativer Kreise zum Feindbild erwachsen. Bestens erkennbar an der Perversion der durchaus angebrachten Kritik am geplanten Freihandelsabkommen TTIP. Chlorhühner etwa will der Deutsche nicht essen, die Wiesenhof-Antiobiotika-Schleuder stopft er dagegen im Akkord in sich rein. Wen interessieren resistente Keime, wenn es gegen den neuen Klassenfeind geht?

Freilich haben die Amerikaner in geradezu dilettantischer Dreistigkeit ihre (und unsere!) Grundwerte ins Zwielicht gerückt (NSA). Auch der völkerrechtswidrige Anti-Terrorreflex Guantanamo existiert immer noch. Die Liste ist lang und dennoch sind die USA ein demokratischer Rechtsstaat. Im Angesicht dieser Tatsache mutet es geradezu grotesk an, wenn viele selbstberufene Befreiungs-Apologeten ihr Heil in Putins Russland suchen. Ein Staat, der die dunklen Flecken der USA bloß in anderer Form auf dem Prunkgewand trägt, obendrein aber noch Homosexuelle per Gesetz durch die Straßen hetzt und Oppositionelle mit Hausarrest beglückt (bzw. wahlweise auch mal ins Arbeitslager steckt) – wahrlich ein ganz wunderbarer Sehnsuchtsort.

Sein verstörender Reiz liegt in einem simplen Versprechen: dem der homogenen Volksgemeinschaft. Im Putinsprech „Neurussland“ genannt. Es ist ein Relikt einer Welt vor der Globalisierung, mit klaren Grenzen und simplen Wahrheiten. Die Renaissance der Stammesgesellschaft und brachiale Antithese zum „Melting Pot“. Sie ist eine Utopie, die berechtigten Ängsten gleichsam wie hanebüchener Paranoia und mörderischem Hass einen Hafen zu bieten vermag. Nur so lässt sich auch erklären wie gleichzeitig (in stramm rechter Tradition) auf die Lügenpresse geschimpft und mit RT ein Sender für bare Münze genommen wird, der sich nicht einmal Mühe gibt so zu tun, als sei er kein schlecht aufgemachter Propaganda-Kanal.

Kein Zweifel, die berechtigten Sorgen eines Jeden müssen ernst genommen werden. Jederzeit, auch wenn sie unbequem scheinen. Irrationale Ängste aber, Hassphantasien oder reaktionäre Ressentiments müssen gehört und bekämpft werden. Auf Seite Acht hat das übrigens auch die F.A.S. (mit Hilfe Karl Poppers) wieder verinnerlicht:

„Wenn wir Menschen bleiben wollen, dann gibt es nur einen Weg, den Weg in die offene Gesellschaft.“

Dann darf dieser Januar-Sonntag in Paris kein Strohfeuer gewesen sein.

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2 Kommentare

  1. 14. Januar 2015 / 12:41

    Großartiger Text! Totale Zustimmung. Ich würde gerne einen ausführlicheren Kommentar schreiben, aber alles was ich würde sagen wollen steht im Beitrag :) Sehr schön!

    • 14. Januar 2015 / 13:18

      Das bestärkt mich doch direkt in der Gastautor-Wahl :) und danke für den Link-Hinweis, habs gefixt.

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