Das Thema Rassismus in all seinen Facetten hat durch den Mord an George Floyd und den daraus resultierenden Protesten dieses Jahr (endlich!) eine größere Plattform bekommen. Zur Hochzeit der „Black Lives Matter“-Bewegung waren Blogs und Magazine voll von „Reading Lists“ mit Büchern, die sich mit der Thematik beschäftigen. Da ich mich schon länger nicht mehr bewusst mit Rassismus auseinandergesetzt hatte – das letzte Mal so richtig in meinen „Postcolonial“-Kursen im Studium –, nahm auch ich die Bewegung zum Anlass, meine Buchauswahl für dieses Jahr anzupassen.
Mittlerweile sind ein paar Monate vergangen, ich habe dank Corona Zeit zum Lesen gehabt und konnte nun guten Gewissens eine individuell kuratierte Liste mit Büchern rund um Rassismus für euch zusammenstellen. Denn was mich Ende Mai störte: Gefühlt tauchten immer dieselben Werke auf, wenige aber wurden mit einer Einordnung oder gar Bewertung versehen. So blieb das unangenehme Gefühl, dass viele möglichst schnell auf den „Hypetrain“ aufspringen wollten, ohne sich näher damit auseinanderzusetzen. Das schwarze Social-Media-Quadrat der Blogger quasi. Das war für mich keine Option und so ist der Hype bei meiner Veröffentlichung nun schon dreimal um die Ecke, das Thema aber natürlich immer noch brandaktuell.
Im Folgenden findet ihr eine Auswahl von zehn Büchern, die sich dem Thema Rassismus über ganz verschiedene Perspektiven nähern. Ich habe die Zusammenfassung möglichst spoilerfrei gehalten, um euch nicht zu viel vorwegzunehmen, und ende jeweils mit einem persönlichen Fazit. Nicht alle dieser Bücher fand ich gut, da aber jede*r andere Vorlieben hat, habe ich mich entschieden, dennoch alle aufzunehmen. So ist hoffentlich für alle etwas dabei!
Alice Walker: The Color Purple (1982)
Der Briefroman „The Color Purple“ dreht sich um Ich-Erzählerin Celie, deren Erfahrungen sinnbildlich für das Leben afro-amerikanischer Frauen in den Südstaaten der USA im 20. Jahrhundert stehen sollen. Celie muss schon mit 14 ihre todkranke Mutter in allen Belangen ersetzen und wird dabei zweimal schwanger, ihre Kinder muss sie abgeben, ohne zu wissen, was mit ihnen geschieht. Kurz darauf wird sie in eine Ehe mit einem ihr fremden Mann gedrängt, bei dem sie Haushalt, Kindererziehung und Feldarbeit übernehmen muss. Ihr tristes Dasein wendet sich erst zum Guten, als ihr Mann eine Geliebte mit nach Hause bringt und sich die beiden Frauen näherkommen. Die Sängerin gibt Celie Selbstbewusstsein und den Mut, ihr Leben zu verändern.
Fazit: Passend zum Bildungsstand der Protagonistin wurde „The Color Purple“ in einfacher Sprache verfasst, die meisten Passagen sind sehr monoton, ohne große emotionale Höhen und Tiefen. Das macht es schwierig mit Celie mitzufühlen, obwohl die Handlung gerade zu Beginn wenig Erfreuliches bietet. Zum Ende hin hatte ich darüber hinaus Schwierigkeiten, die plötzlichen positiven Ereignisse als realistisch zu empfinden.
Angie Thomas: The Hate You Give (2017)
Der Jugendroman „The Hate U Give“ dreht sich um die 16-jährige afroamerikanische Protagonistin Starr Carter, welche als schüchterne Schülerin einer Privatschule für die weiße Oberschicht peinlich genau darauf achtet, dass sie nicht auf ihre Hautfarbe, Herkunft und Gangsta-Rap-Vorlieben reduziert wird. Als jedoch ihr alter Kumpel Khalil in ihrem Beisein von einem Polizisten erschossen wird, ohne auch nur einer Fliege etwas zu leide getan zu haben, aus ihm in den Medien ein Gangmitglied gemacht wird und ihre Zeugenaussage zu keiner Verhaftung führt, wird Starr bewusst, dass ihre Hautfarbe eben doch einen Unterschied macht. Bei Protesten und Aufständen wird sie zunehmend aktiv und kämpft für ausgleichende Gerechtigkeit.
Fazit: „The Hate U Give” ist ein aufrüttelnder Coming-of-Age Roman, der sich nicht nur perfekt als Schullektüre eignet, sondern auch Älteren wunderbar erklärt, wieso „Black Lives Matter“ nicht nur eine Bewegung, sondern ein Herzensanliegen sein muss. Wer lieber auf Bewegtbild steht: Die Verfilmung von „The Hate U Give“ lief Anfang 2019 in den deutschen Kinos und steht mittlerweile auf On-Demand-Portalen zur Verfügung.
Candice Carty-Williams: Queenie (2019)
Candice Carty-Williams‘ Protagonistin Queenie ist zunächst einmal ein Sinnbild vieler Twenty-Somethings: Mit zu wenig Geld in einer Großstadt lebend, in einer Beziehungspause fleißig auf Online-Dating-Apps unterwegs und in ihrer Arbeit als Zeitungsredakteurin unmotiviert, weil sie sich statt mit Click-Bait-Themen lieber mit politischen Themen beschäftigen würde. Der Unterschied: Queenie stammt aus toxischen Familienverhältnissen und wird in ihrer weiß-dominierten Umgebung schnell als Schwarze abgetan, von der nichts anderes zu erwarten ist als Misserfolg in allen Lebensbereichen. Diese Erfahrungen und Erwartungshaltung münden bei ihr in Selbstzerstörungslust und mentalen Problemen, die sie nur schwer bewältigen kann.
Fazit: „Queenie“ deckt viele wichtige Probleme unserer Zeit ab, ob Alltagsrassismus, sexuelle Gewalt oder patriarchales Verhalten. Ich hatte dennoch Schwierigkeiten, mich in die Charaktere einzufinden, weil die meisten sehr stereotypisch, „flach“ und naiv daherkommen.
Chimamanda Ngozi Adichie: „Half of a Yellow Sun“ (2006) & „Americanah“ (2013)
Eines meiner Lieblingsbücher ist Chimamanda Ngozi Adichies „Half of a Yellow Sun“ (2006), welches in dieser Liste natürlich nicht fehlen darf. Hier geht’s zu meiner Rezension, welche ich noch zu Unizeiten geschrieben habe, als die Eindrücke ganz frisch waren. Auch Adichies bekannteres Buch „Americanah“ habe ich bereits rezensiert.
Colson Whitehead: The Nickel Boys (2019)
Im Florida der sechziger Jahre gerät der sechzehnjährige Elwood beim Trampen in ein gestohlenes Auto und wird prompt verurteilt. Er landet in der Erziehungsanstalt „Nickel Academy“, wo insbesondere die schwarzen Jungs misshandelt und ausgebeutet werden. Der gut gebildete Elwood mit einem Hang zur Gerechtigkeit will seine Zeit schnellstmöglich absitzen, gerät aber immer wieder mit den Betreuern aneinander, weil er z.B. einem anderen Jungen hilft oder sich über die schlechten Bedingungen beschwert. Zusammen mit seinem Freund Turner versucht er zu fliehen.
Fazit: Colson Whiteheads Roman beruht auf einer wahren Begebenheit und zeigt einmal mehr, wie tief alltäglicher und struktureller Rassismus in der amerikanischen Geschichte verwurzelt ist. Sein Schreibstil ist aufgrund seiner leicht chaotischen Struktur und Nüchternheit gewöhnungsbedürftig, sodass ich mich zwischendurch zwingen musste, das Buch nicht einfach wegzulegen.
David Yoon: Frankly in Love (2020)
Frank Li ist Sohn koreanischer Einwohner und hat mit gewissen Erwartungen seiner Eltern zu kämpfen – die aktuell nervigste: Sie möchten, dass er nur koreanische Mädchen datet, während Frank ein Auge auf American Sweetheart Brit geworfen hat. Seine Kindheitsfreundin Joy hat mit ähnlichen Problemen zu kämpfen und so gehen die beiden eine Scheinbeziehung ein. Das ist aber gar nicht so einfach, wie erhofft…
Fazit: „Frankly in Love“ ist ein leicht zu lesender Coming-Of-Age-Roman mit interessanten Einblicken in die koreanisch-amerikanische Community. Leider ist der Hauptstrang des Plots sehr vorhersehbar, während manche Wendungen wiederum zu unrealistisch daherkommen.
Kiley Reid: Such a Fun Age (2019)
Die 25-jährige afroamerikanische Emira Tucker weiß nicht recht, wie sie ihre berufliche Zukunft gestalten soll, und fängt daher bei der weißen Influencerin Alix Chamberlain als Babysitterin an. Als sie sich mit Alix‘ Tochter Briar in einem Supermarkt aufhält, wird sie vom Sicherheitsmann beschuldigt, Briar entführt zu haben. Kelley Copeland, ein weißer Schaulustiger, filmt den Vorfall, Emira lässt sich das Video schicken und lässt es von seinem Telefon löschen, weil sie nicht in den Nachrichten erscheinen will. Kurz darauf treffen sich Kelley und Emira zufällig wieder und beginnen eine Romanze. Im Laufe des Romans erfährt Elmira von rassistischen Tendenzen bei sowohl Alix als auch Kelley und findet sich in einem Spiel voller Intrigen wieder.
Fazit: „Such a Fun Age“ lässt sich zügig durchlesen und zeigt zwei interessante Aspekte von Rassismus: Zum einen White Privilege, d.h. Vorteile, die Weiße allein aufgrund ihrer Hautfarbe in allen Aspekten ihres Lebens haben, und Rassismus, der sich dadurch auszeichnet, dass Weiße Schwarze gut behandeln, um sich selbst besser zu fühlen. Der Roman ist allerdings ziemlich platt geschrieben, insbesondere die Dialoge sind wenig authentisch.
Lawrence Hill: The Book of Negroes (2015)
„The Book of Negroes“ spielt im 18. Jahrhundert und dreht sich um Aminata Diallo, die im Alter von elf Jahren mit einem Sklavenschiff von Westafrika nach South Carolina gebracht und so zur Sklavin Meena Dee wird. Auf einer Plantage wird sie zu harter Arbeit gezwungen und vergewaltigt, hat aber gleichzeitig das Glück, dass ihr wacher Geist von anderen Sklaven geschätzt wird und sie ihr die fremde englische Sprache sowie Lesen und Schreiben beibringen. Diese Kenntnisse werden ihr bei verschiedenen Stationen ihres Lebens, ob in New York, in London oder in Afrika hilfreich sein.
Fazit: „The Book of Negroes“ begleitet die Protagonistin durch ihr ganzes ereignisreiches Leben und ist zu keinem Punkt langweilig. Ich lernte nicht nur Einiges über den Sklavenhandel, sondern fühlte mich gleichzeitig auch gut unterhalten, ob durch eine gut eingewobene Liebesgeschichte oder die historische Darstellung mir bekannter Schauplätze. Uneingeschränkte Weiterempfehlung!
Reni Eddo-Lodge: Why I’m No Longer Talking to White People About Race (2017)
Das Buch mit dem sprechenden Titel „Why I’m No Longer Talking to White People About Race“ war zunächst nur ein wütender Blog-Post, der 2014 viral ging. Da dieser auch Monate später noch hitzige Diskussionen auslöste, entschied sich Reni Eddo-Lodge, den Artikel als Grundlage für ein Buch zu nehmen, in dem sie persönliche Erfahrungen mit Recherchen zu rassistischen Vorurteilen (insbesondere) im Vereinigten Königreich paart. Damit zeigt sie deutlich auf, dass seit Jahrhunderten Weiße und Nicht-Weiße in allen Aspekten ihres Leben ungleich behandelt werden und dieses Problem noch lange nicht behoben ist.
Fazit: „Why I’m No Longer Talking to White People About Race“ ist wie ein Handbuch für alle, die sich zum ersten Mal näher mit Rassismus auseinandersetzen. Die von mir bei den vorherigen Büchern angesprochenen Begriffe wie struktureller bzw. institutioneller Rassismus und White Privilege werden ausführlich erklärt und mit Beispielen nähergebracht, wichtige historische Ereignisse wie der Sklavenhandel werden berücksichtigt, sodass Einsteiger einen guten Rundumschlag bekommen.
Soweit erst einmal zu den Büchern, die ich in letzter Zeit zum Thema Rassismus gelesen habe.
Auf meiner „to read“-Liste befinden sich weiterhin:
- Brit Bennett: The Vanishing Half (2020)
- Buchi Emecheta – Head Above Water (1994)
- Debby Irving: Waking Up White: And Finding Myself in the Story of Race (2014)
- Kübra Gümüşay – Sprache und Sein (2020)
- Sefi Atta – A Bit of Difference (2012)
- Taiye Selasi: Ghana Must Go (2014)
- Yaa Gyasi: Homegoing (2016)
Habt ihr weitere Empfehlungen? Oder habt ihr eines der o.g. Bücher ebenfalls gelesen? Ich freue mich über Austausch!
Apropos Austausch: Den Überblick über gelesene und noch zu lesende Bücher behalte ich durch Goodreads, wo ich auch viel Inspiration herhole. Lasst uns gern vernetzen, hier geht’s zu meinem Profil.
Letzte Aktualisierung: 29.11.20 (Leseliste ergänzt basierend auf euren Empfehlungen, die mich auf diversen Kanälen erreicht haben – danke!)
Tatsächlich lese ich grade im Moment einen anderen Roman von Colson Whitehead, nämlich Underground Railroad. Was du zu seinem Schreibstil schreibst, würde ich bisher auch so bestätigen.
Danke für die anderen Tipps! Da könnte das ein oder andere auch auf meine Leseliste wandern
Autor
Ah, witzig. Ich denke, ich werd auf weitere Romane von ihm (treffender Name übrigens) verzichten. :D