Review: Hanya Yanagihara – Ein wenig Leben
„Ein wenig Leben“ von Hanya Yanagihara ist laut Buchhändlern und Feuilletonisten „der Roman, über den alle reden“. Dass es von Hinz und Kunz rezensiert wurde und sich auf allen Frühjahrslisten findet, fällt aber vermutlich nur denjenigen auf, die sich sowieso schon damit beschäftigt oder es gar gelesen haben. Also diesen 10% der Leseratten, die nicht vor dicken Schmökern und anspruchsvollen Handlungen zurückschrecken. Da ich auch gern mal zu einem in der Literaturszene hochverschmähten Thriller greife, hatte ich zunächst befürchtet, dass mir „Ein wenig Leben“ zu sehr deskriptiver Indie-Film und zu wenig buntes Hollywood ist. Dann kam aber alles ganz anders.
Es gibt schon zig ausführliche, recht objektive Buchbesprechungen, daher konzentriere ich mich heute mal auf meine ganz persönliche Meinung und meine Empfindungen während des Lesens. Zunächst noch kurz der offizielle Klappentext vom Hanser Verlag, damit ihr auch wisst, wovon ich eigentlich spreche:
„Ein wenig Leben“ handelt von der lebenslangen Freundschaft zwischen vier Männern in New York, die sich am College kennengelernt haben. Jude St. Francis ist die charismatische Figur im Zentrum der Gruppe – ein aufopfernd liebender und zugleich innerlich zerbrochener Mensch. Immer tiefer werden die Freunde in Judes dunkle, schmerzhafte Welt hineingesogen, deren Ungeheuer nach und nach hervortreten. „Ein wenig Leben“ ist ein rauschhaftes, mit kaum fasslicher Dringlichkeit erzähltes Epos über Trauma, menschliche Güte und Freundschaft als wahre Liebe. Es begibt sich an die dunkelsten Orte, an die Literatur sich wagen kann, und bricht dabei immer wieder zum hellen Licht durch.
Zu Beginn ist „Ein wenig Leben“ ziemlich langatmig. Die Handlung wirkt wie eine klassische Coming-of-Age Geschichte von vier Neu-New Yorkern, die mir allesamt nicht wirklich sympathisch sind. Ich brauche für die ersten 100 Seiten fast einen Monat, weil ich ständig entnervt abbreche. Weiterlesen lässt mich nur die Tatsache, dass es eine gut gemeinte Empfehlung eines Freundes war.
Irgendwann komme ich rein, weil sich „Ein wenig Leben“ mehr auf Jude konzentriert. Jude hat so viel – verzeiht mir den Begriff – Scheiße hinter sich, die ihn so nachhaltig beeinflusst und beeinträchtigt, dass der Roman zu einem wahren Pageturner wird. Innerlich schüttle ich eigentlich nur den Kopf vor Entsetzen und warte gleichzeitig gespannt darauf, was uns Yanagihara nach und nach von seiner Vergangenheit offenbart.
Die letzte Hälfte des Buches möchte ich „Ein wenig Leben“ eigentlich gar nicht mehr weglegen. Zwischenzeitlich lese ich mehrere Stunden am Stück bzw. widme eigentlich mehr oder weniger einen ganzen Tag den Zeilen, die mich immer mehr mitreißen und auch in den Nächten nicht richtig davon kommen lassen.
Und irgendwann, nach sehr langen, aber nicht zu langen, 960 Seiten ist Schluss. Ich habe die letzten Kapitel von „Ein wenig Leben“ verschlungen, wie schon lange kein Buch mehr und fühle mich seltsam leer. Hanya Yanagihara hat es geschafft, Charaktere zu erschaffen, die weit über das gedruckte Wort hinausreichen und einen noch Tage später durch den Alltag begleiten.
An alle, die nach etwas Ungewöhnlichem suchen oder Fan von persönlichen Geschichten und Dramen sind: Lest dieses Buch. Es ist eure Zeit wert.
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